Artikel und Interviews zum DAF-Jubiläum 2009
 
Die Tageszeitung (5.1.09)

"Wir waren eine Zukunftsvision"    (Interview mit Robert)
 

Robert Görl, 53, wuchs im Waisenhaus auf und begann mit sechs auf Waschmittelpackungen zu trommeln. 1978 gründete er mit Gabi Delgado-Lopez in Düsseldorf die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF). Beeinflusst von Punk, aber auf elektronischer Grundlage entwickelten sie einen radikalen Entwurf, der Techno musikalisch und körperpolitisch vorwegnahm.

Delgado gab den Sänger und Eintänzer, Görl dazu die stoische Rhythmusmaschine. Mit militärischem Schick, exakten Frisuren, geschicktem Spiel mit faschistischer Symbolik und bewusst missverständlichen Songs wie "Der Mussolini" (dessen Text auffordert, neben dem "Mussolini" den "Adolf Hitler" und den "Jesus Christus" zu tanzen) stellten sich DAF gegen alle Modeströmungen und Jugendkulturen, erreichten aber trotzdem Mainstreamerfolg - nicht nur in Deutschland, auch in England.

Seit der ersten Auflösung von DAF im Jahr 1982 versuchte sich Görl als musikalischer und privater Partner von Annie Lennox und später mit Erfolg auch als Technoproduzent. Immer wieder aber kehrt er zurück zu Delgado und damit zu DAF, so auch nun anlässlich der 30-j‰hrigen Gründung des Projekts. Nach Auftritten im vergangenen Sommer folgt nun die Tour unter dem Titel "Der 30-jährige Krieg - als wärs das letzte Mal", die am 7. Januar 09 in Berlin beginnt. Der Auftritt im K17 ist ausverkauft.
Erst durch einen schweren Autounfall hat Robert Görl, die Menschmaschine von Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), zum Buddhismus gefunden. Aber schon die Skandalauftritte des Duos in den 80er-Jahren mit faschistischer Anmutung waren der "Buddha-Weg", sagt der Wahlberliner. 30 Jahre nach ihrer Gründung gehen die Wegbereiter des Techno auf Tour.
 
 

taz: Herr Görl, Sie haben als Treffpunkt die Weltzeituhr am Alex vorgeschlagen. Warum?

Robert Görl: Gerade weil ich zurzeit keinen Bezug mehr habe. Keinen mehr haben will. Zeit zerhackt, Zeit macht einen zum Sklaven.
 

Dafür waren Sie aber sehr pünktlich.

Ja, pünktlich bin ich. Das ist eine Frage der Höflichkeit. Und mir ist natürlich klar, dass auch ich in Zeit eingespannt bin. Die Zeit ist ja auch etwas Natürliches, die Sonne geht auf und wieder unter, und das kann man bis auf die Sekunde errechnen. Aber arbeiten nach einer Stechuhr, das ist doch Unterdrückung. Wenn überhaupt, dann lebe ich in einer anderen Zeit.

In einer anderen Zeit?

Ja, ich lebe nicht im Jahr 2009, sondern im Jahr 2551 nach Buddhas Zeitrechnung.

Sie sind Buddhist seit einem schweren Autounfall 1989.

Ich war fast tot. In der Kurve war Glatteis, und wenn man mit überhöhter Geschwindigkeit, mit mehr als 100 Stundenkilometern, kerzengerade auf einen Baum drauff‰hrt, dann holen sie die Leute normalerweise tot aus dem Auto raus.
 

Erleuchtung durch Nahtoderfahrung?

Das war ein bisschen schräg. Ich hab es geschafft aus dem Auto rauszurobben, saß dann halbtot auf dieser vereisten Straße, und plˆtzlich hat sich mein Schädel geöffnet. Ich hatte das Gefühl, ich spüre das ganze Universum. Ich habe wirklich ganze Galaxien gesehen, völlig abgefahren. Im Krankenhaus dann, nach den Notoperationen, haben die mich gefragt, ob ich fernsehen will. Und als die Krankenschwester den Fernseher über mir anschaltet, erscheint da ein buddhistischer Mönch. Genau in dem Moment läuft eine Sendung über Buddhismus im deutschen Fernsehen. Dann bin ich nach Asien gegangen und wollte wissen, was es damit auf sich hatte. Fast drei Jahre war ich dann in Klöstern unterwegs, in Thailand, Indien und hauptsächlich in Nepal. Ich bin von Kloster zu Kloster gewandert und habe viel über mich erfahren.

Wollten Sie selbst Mönch werden?

Wollte ich eine Zeit lang, ja. Aber dann habe ich festgestellt, dass der Buddhismus mittlerweile auch zur Kirche geworden ist. Und das ist für mich Antibuddhismus. Den Buddhismus, den ich lebe, der ist eine ursprüngliche Form. Eine Aussage des historischen Buddhas ist: Keine Rituale. Die meisten Mönche aber folgen Ritualen sklavisch. Aber ein wirklicher Buddha sprengt Traditionen.

Haben Sie Kontakt zur buddhistischen Gemeinde hier in Berlin?

Nein, ich bin ein gemeindeloser Mensch. Ich bin auch ein staatenloser Mensch. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber ich fühle mich nicht deutsch. Mit Zugehörigkeit, mit Traditionen, mit Ritualen, damit kann ich nichts anfangen. Ich habe festgestellt: Ich kann überall hingehen und fühle mich überall gleich. Egal, ob ich in München bin, in Paris, New York, Bangkok, Katmandu oder momentan eben in Berlin.

Trotzdem leben Sie schon sieben Jahre hier.

Ja, ich bin hier hängengeblieben. Das war eher Zufall. Ich wollte 2001 eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben, um mit Gabi [Delgado-Lopez, die andere H‰lfte von DAF, d. Red.] unsere letzte Platte "Fünfzehn neue DAF-Lieder" vorzubereiten und aufzunehmen. Hotel wäre zu teuer gewesen, und immer nur bei Freunden auf der Couch schlafen, das geht auch nicht, also hab ich mir ein Apartment gemietet. Und jetzt bin ich eben immer noch hier.

Warum sind Sie geblieben?

Berlin ist schon eine schöne Stadt. Ich geh gern durch die Stadt. Denn auch wenn ich ein Buddhist bin und gelernt habe, meine Sinne komplett auszuschalten, arbeite ich als Musiker ja auch noch mit meinen Sinnen. Ich nehme Dinge auf und verarbeite sie. Aber ich fühle mich nicht zugehörig, zu nichts mehr. Dass ich jetzt sieben Jahre hier bin, das ist Zufall. Ich hänge an nichts.

Außer an Gabi Delgado.

Nein, auch an dem nicht. Deshalb trennen wir uns ja auch so oft.

Aber Sie kommen immer wieder zusammen.

Der Gabi Delgado und ich, wir haben halt auch ein paar richtig gute Sachen zusammen gemacht. Aber immer, wenn wir ein paar Jahre zusammenwaren, dann streiten wir uns ziemlich kräftig. Jeder Streit verblasst wieder. Es ist ja auch nicht gesund, jemandem zu lange böse zu sein. Und deshalb gibt es halt schon das dritte DAF-Comeback.

Das ist der einzige Grund?

Der andere ist, dass wir uns 30 Jahre kennen, dass es DAF 30 Jahre gibt. Das ist doch ein gutes Date, um zurückzukommen.

Finanzielle Gründe gibt es nicht?

Doch, auch, natürlich. Da bin ich ehrlich: DAF ist meine beste Geldquelle. Mit meinen Solo-Aktivit‰ten verdiene ich auch Geld, aber da muss ich mehr strampeln, um meine Miete zu zahlen. Aber es wäre nicht fair, das aufs Finanzielle zu reduzieren. Wir wurden gefragt, ob wir was zum 30-Jährigen machen wollen, und deshalb haben wir angefangen im vergangenen Sommer wieder aufzutreten und gehen nun auf Tour. Und das wird auch eine reine Hittour. Wir wollten nicht auf die Schnelle ins Studio, was Neues aufnehmen und raushauen, egal wie die Nummern sind. Nein, wir spielen nur die ganzen Klassiker. Das wird: Greatest Hits von DAF.

Erklären Sie mal einem jungen Menschen, warum er sich heute wieder DAF anhören soll. Was war so einzigartig an DAF?

Da komme ich wieder zurück zur Zeit, von der ich mich nicht abhängig machen will. Denn Musik ist ja auch Mathematik. Mit DAF haben wir immer versucht, die Strukturen von Musik, ihren zeitlichen Ablauf zu sprengen. Wir gehörten zu den ersten, die damals in den frühen 80er-Jahren dafür gekämpft haben, sich nicht mehr sklavisch Songstrukturen zu unterwerfen. Intro, Strophe, Refrain, das war bis dahin ein Muss in der Rock- und Popmusik. Ganz kann man die Zeit nat¸rlich nicht aufheben, aber wir haben zumindest gewisse Strukturen aufgehoben, wir haben diese Konventionen gesprengt. Wir waren nicht die Erfinder der freien Komposition, da gab es vor uns elektronische und moderne Musik. Aber DAF waren die Ersten, die versucht haben, die freie Komposition in den Popsektor zu bringen. Das hat vor uns tatsächlich niemand versucht, diese Freiheit im Pop durchzusetzen.

Eine Freiheit, die Techno später aufnahm.

Ja, Techno funktioniert genauso wie eine DAF-Nummer. Die fängt an und kann wohin auch immer gehen, kann drei Minuten dauern oder zehn.

Als sie Anfang der 90er-Jahre, zurück aus Asien, dann Techno entdeckt haben, war das ein Gefühl wie nach Hause zu kommen?

Das war ein zwiespältiges Gefühl. Wir hatten den Samen in die Welt gelegt und der ging auf. Wenn andere deine Ideen übernehmen, wenn die Blumen blühen, dann ist das erst einmal ein tolles Gefühl: Endlich wird man verstanden. Aber auf der anderen Seite ist es mir halt auch passiert, dass ich in Clubs gegangen bin und dort Bands gehört habe, die genauso klangen wie DAF. Dass die große Zeit der Kopisten ausbricht, das muss man dann halt auch akzeptieren, aber komisch ist es erst mal.

Haben Sie das Gefühl, Ihre Pionierarbeit wird - im Gegensatz zu Kraftwerk etwa - nicht angemessen gewürdigt?

Es kann sein, dass es mehr Ahnengalerien gibt, in denen Kraftwerk einen höheren Stellenwert hat als DAF. Aber in einigen Ahnengalerien haben wir schon den Platz, der uns zusteht. Das sind zwei verschiedene Linien. Wir wollten keine Fortsetzung von Kraftwerk sein, wir waren Anti-Kraftwerk. Kraftwerk, das waren Söhne reicher Eltern, deren Synthesizer hunderttausende von Mark gekostet haben. Das war elitär. Wir hatten überhaupt kein Geld, aber dann hat uns die technologische Entwicklung geholfen. Parallel zur DAF-Gründung 1978 kamen die ersten billigen japanischen Synthies von Korg für 1.000 Mark auf den Markt. Die haben wir uns sofort gekauft, und damit konnten wir unsere Visionen umsetzen. Kraftwerk klangen viel zu schön, das war uns viel zu steril. Bei uns mussten die Maschinen schwitzen. Deshalb haben wir ja die elektronischen Klänge gemischt mit dem Schlagzeug, das ich spiele.

Der Körper wurde zum Rhythmusinstrument degradiert?

Einerseits. Andererseits aber haben wie den Körper dadurch auch verherrlicht. Wir wollten seine Kraft zeigen, seine Muskeln, das aber dann koppeln mit puristischer, mechanischer Musik. Der Körper und die Maschinen sollten zusammen schwitzen. In Wirklichkeit waren DAF das, was Kraftwerk immer nur behauptet haben: Wir waren die echte Menschmaschine. Wir waren eine Zukunftsvision, wir waren Cyborgs.

Einige fanden das faschistisch.

Ja, wir haben provoziert. Wir haben mit Symbolen gespielt, auch mit faschistischen. Wir wollten mit gewissen Images die Leute ganz bewusst schockieren. Wir wollten Tabus brechen.

Schockieren nur um des Schocks willen?

Wir haben uns schon als Aufklärer gesehen. Heute glaube ich, dass ich schon immer den Buddha-Weg gegangen bin, denn der ist ein aufklärerischer Weg. Der Buddhismus sprengt genauso gesellschaftliche Tabus, wie es DAF gemacht hat. Auch im Buddhismus geht es darum, eingefahrene Denkstrukturen aufzubrechen, die Fesseln der eigenen Kultur zu sprengen.

DAF wurde vorgeworfen, politisch verantwortungslos umzugehen mit gewissen Symbolen.

Wir waren doch gar nicht politisch. Viele wollten uns so sehen, und wir haben natürlich auch mit politischen Motiven gespielt. Ein Lied wie "Der Sheriff" hat ja keine konkrete Aussage, es benutzt nur politische Schlagworte, genauso wie "Der Mussolini". Ich bin auch kein politischer Mensch, ich finde Politik blöd. In der Politik hängen lauter Machtmenschen rum, da will ich nichts mit zu tun haben. Aber es ist nun mal ein Thema, und wir haben uns solche Themen genommen und Keile reingehauen. Wir haben angegriffen, wir haben gesagt: Wir haben die RAF in unserer Jugend bewundert. Zu sagen, das waren tolle Menschen in der RAF, die hatten ihre Gründe für das, was sie getan haben, das ist doch heute noch ein Tabu.

Das Schockieren funktioniert also noch?

Das funktioniert immer noch. Wir haben es jetzt nur schon so oft getan, dass die Leute nur zum Feiern zu uns kommen. Aber grundsätzlich ist das Brechen von Tabus immer noch aktuell und wichtig. Die Gesellschaft ist lange nicht so aufgekl‰rt, dass es keine Tabus mehr gäbe. Es gibt immer noch Politik und Religion, es gibt immer noch Unterdrückungssysteme, die funktionieren. Deshalb gibt es auch immer noch einen Kampf dagegen.

Das klassische DAF-Konglomerat allerdings, schwule und faschistische Ästhetik mit Punk zu vermengen, das provoziert heute nicht mehr.

Das stimmt. Das ist fast schon Mainstream. Wir konnten Leute noch schockieren mit einem Lied, das "Verehrt euren Haarschnitt" hieß. Heute ist das Schwule sogar in der Politik angekommen.

Wie passen Schockstrategie und milit‰äisches Image mit dem Buddhismus zusammen?

Der Buddhismus ist ja nicht auf Weichheit festgelegt. Buddhist zu sein bedeutet ja nicht, dass man nur zu Hause rumsitzt, mit einem Holzschlegel eine Messingschale zum Erklingen bringt und "Om" singt. Der Buddhismus stellt sich unbedingt allen weltlichen Dingen.

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Magazin "Vice"    (Interview mit Robert)
 

Die erste wirklich gefährlich klingende Band in meinem Leben war DAF. Ich muss so zwölf oder dreizehn gewesen sein, als ich zum ersten Mal „Der Mussolini“ hörte. Mögli-cherweise lag es an meiner realsozialistisch geprägten Kinderstube, dass mich die
 Tatsache überforderte, Benito Mussolini, Adolf Hitler und Jesus Christus in nur einer Strophe zu begegnen. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass DAF den Prototypen für gefährliche Bands entwickelt hatten. Wir trafen uns mit Robert Görl, der neben Gabi Delgado immer etwas entspannter wirkenden Hälfte von DAF und redeten ein wenig über die alte Zeit und darüber, wie diese in die Gegenwart hinein ruft. 

Vice: Die Zeit, in der ihr mit DAF begonnen habt, ist heute legendär. Wie würdest du die damalige Stimmung einem heute 18-jährigen beschreiben?

Robert Görl: Es war 1978 in Düsseldorf. Ich war Anfang zwanzig. Ich hatte Musik studiert und während des Studiums schon ein paar Banderfahrungen gemacht. Das war aber alles zu theoretisch. Dann traf ich Gabi in einem Club, dem Ratinger Hof. Wir hatten diesen Drang, unbedingt in einer Band zu spielen. Die Siebziger gingen gerade zu Ende und jeder hasste das Jahrzehnt. Jeder wollte, dass diese Rock-musik verschwindet, diese Kacke, weißt du, diese endlosen Gitarrensoli, in denen sich der Gitarrist einen runterholt, haha. Und der Drummer spielt dann danach ein 15-minütiges Drumsolo. Aber eigentlich passiert gar nichts, außer ständiges Abge-wichse. Diese Musik wollte kein Mensch mehr hören. Da waren auf einmal eine Plattform und jede Menge Leute, die sich komplett neu orientierten. Auch bildende Künstler, Immendorff und Beuys und so. Es gab dort in Düsseldorf 1978 vielleicht zwei Dutzend Bands in diesem Dunstkreis, alle haben rumprobiert.
Die totale Aufbruchstimmung. 

Was war die einprägsamste Situation in dieser Zeit?

 Das war die erste Probe mit Gabi im Keller des Ratinger Hofs. Da entstand innerhalb weniger Sekunden unser Konzept. Wir standen in diesem kalten, stinkenden Keller. Es gab kein Licht, nur Kerzen. Dann gab es dieses verrottete Schlagzeug, das nur nach Pappdeckeln geklungen hat. Der Gabi hat so ein Stylophone mitgebracht. Er spielte also darauf simple elektronische Acid-Loops und ich spielte einfach Bumm-Tschak. Und genau in dem Moment wussten wir, das ist die Musik, die wir wollen. Wir wussten, diese Musik ist die Zukunft, damit werden wir Erfolg haben und jeden überzeugen. Den Moment werde ich nie wieder vergessen, das war ein ganz großes Erlebnis. Wir waren total euphorisiert und sind dann später in einer Bahnhofskneipe gelandet und haben da noch gut gefeiert.

Ihr habt also auch sehr schnell realisiert, dass ihr das perfekte Duo seid?

Das war uns total schnell klar. Wir haben uns getroffen und wussten sofort, was wir wollten. Wir haben aber trotzdem als Band angefangen, mit Michael Kemner am Bass, Wolfgang Spel-manns als Gitarristen und Kurt Dahlke am Keyboard. Die hatten halt auch vorher schon eine Band und waren ziemlich modern drauf. Die wollten auch was Neues. Aber die waren trotzdem noch nicht weit genug. Die waren noch zu
sehr in diesem Band-Ding verwurzelt.

Es fehlte ihnen die Radikalität?

Zum Beispiel, ja. Gabi und ich dachten, wir können das alleine noch nicht machen, wir brauchen noch Unterstützung für unsere Idee. Das war aber ein Irrglaube. Die erste Platte entstand ja dann auch ohne Gabi. Die hat ihm überhaupt nicht gefallen, das war für ihn so Session-Musik. Im Grunde genommen wollten wir immer nur zu zweit Musik machen. Das mit der Band war so ein Umweg. Dann kam Chris Haas als Keyboarder in die Band, aber es hat immer noch nicht gestimmt. Ich war ja dann auch so drauf, dass ich eine Kassette mit unseren Kellerloch-Aufnahmen nahm und damit zu den Plattenfirmen ging. Die haben mich dann gefragt, ob ich denn denke, dass das Musik sei. Ich sagte denen nur, dass das die beste Musik ist, die es überhaupt gibt und dass sie das nur noch nicht wissen. Mir war das total wurscht, was die denken. Ich hätte dann gern mal deren Gesicht gesehen, als unser Zeug drei Jahre später durch die Decke ging und die Leute aus der Industrie bei uns Schlange standen, haha.

Dann habt ihr Deutschland verlassen ...

Genau, diese Erfahrung hat mir gezeigt, in Deutschland kommen wir nicht weiter. Ich war vorher schon mal längere Zeit in England, habdieses Sex-Pistols-Phänomen mitbekommen und wusste also, dass wir dort besser aufgehoben sind. Das war ein Riesenunterfangen. Vier Jungs, keiner hatte Geld, mussten sich in London durchschlagen. Wir trafen uns immer in dem alten Rough Trade-Shop in der Portobello Road. Da hingen wir mit den ganzen Punks rum und haben erst mal nichts anderes gemacht, als Schlafplätze zu suchen. Wir haben dann in ganz London verstreut gepennt und haben uns tagsüber dort im Laden getroffen. Da hat uns dann Daniel Miller gefunden. Der fand auch gut, was wir machten, hat sich auch gleich gekümmert, dass zwei von uns Schlaf-plätze bei seiner Mutter bekommen. Ich bin aber Hausbesetzer geworden und habe in Squats gewohnt. Daniel Miller wollte dann mit uns eine Single machen. 

Wie habt ihr ihn wahrgenommen?

Na, der war ja damals auch noch eine eher kleine Nummer. Der hat auch noch bei seiner Mutter gewohnt. Er war selbst noch ganz am Anfang, hatte kaum Geld und hat uns trotzdem angeboten, mit seinem wenigen Geld eine Single rauszubringen. Wir gerieten dann aber an einen Typen, der mit uns eine Platte machen und unser Manager sein wollte. Der Typ war komplett irre. Der wollte uns auch entsprechend
 seiner Vorstellungen verbiegen. 

Wie weit habt ihr euch denn verbiegen lassen?

Überhaupt nicht. Nur als Beispiel: Er hat uns in so ein SSL-Studio geschleppt, richtig nobel. Alles state of the art. So Leute wie Genesis hatten da aufgenommen. Wir kamen da rein und ich gehe zum Drumkit und wollte schauen, wie denn so das Schlagzeug klang. Mir gefiel der Sound überhaupt nicht und ich habe das Ding dann einfach so eingestellt, dass es für meine Vorstellungen cool klingt. Da hat der Typ fast einen Herzinfarkt bekommen. Da hatten die wohl die Drums eine Woche lang gestimmt, bis sie diesen professionellen Sound hatten.
Überleg dir das mal, eine Woche lang! Das war genau gepegelt, aber es klang einfach scheiße. Die haben uns dann direkt die Tür gezeigt. Da war uns klar, so läuft das nicht. Wir dürfen nur das machen, was wir auch selber wollen. Das war Punk. Wir bestimmen, wir machen, was wir wollen. Wir haben diesen Typen dann gedroppt und standen wieder auf der Straße.

Dann kam die Platte mit Daniel Miller, richtig?

Ja, wir haben dann ein Album bei Mute mit ihm gemacht. Eine Seite war live und die andere Seite haben wir in Deutschland mit Conny Plank aufgenommen. Dann gab es aber diesen Bruch mit Daniel Miller und wir sind zur Virgin gegangen. Miller hat uns dafür gehasst.Witzigerweise war Mute ja dann Jahre später selbst mit Virgin verbandelt.

Das war der Abschied vom Underground ...

Ganz genau. Aber die ganze Sache war in dem Fall etwas anders. Conny Plank hatte einen echt guten Spirit, aber auch Verbin-dungen zum Major. Wir haben das dann geschickt gemacht. Haben bei ihm aufgenommen, sind dann zurück nach England und haben den Deal mit Virgin eingetütet. Zum ersten Mal ein richtiger Deal, für den es auch Kohle gab. In der Punkszene hieß es dann, wir hätten die Punkbewegung verraten. Das stimmt aber nicht, das haben wir oft erklärt. Wir hatten ja komplett freie Hand. Die bei Virgin waren weitsichtig genug, uns einfach machen zu lassen und sich dann nur um das Drumherum zu kümmern. Und dieses Konzept war extrem erfolgreich. Virgin hat uns ja weltweit massiv verkauft. Der Vertrieb der Platten war dann halt Major, aber das empfand ich nicht als Verrat. Verrat ist, wenn du irgendwohin gehst und du jemand anderen entscheiden lässt. Das ist Verrat. Wir haben nichts verraten. Ganz im Gegenteil.

Wie habt ihr als Band auf diesen Erfolg reagiert?

Für uns war das ganz normal. Wir wollten ja nicht ewig im Kellerloch bleiben. Ich hatte auch vom Squatten die Schnauze voll. Es gab Nächte,in denen ich aus den Häusern, in denen ich schlief, rausgeprügelt wurde. Es ging also nicht darum, dass wir gierig wurden, wir wollten einfach nur aus dem Sumpf raus. Es hat sich ja nicht viel geändert. Der einzige Unterschied war, dass wir Wohnungen hatten und uns bestimmte
 Dinge leisten konnten. Unsere Attitüde blieb ja gleich.

Von dieser Attitüde gab es dann kurze Zeit später unzählige Kopien ...

Ja klar, die Majors haben dann sofort Bands rausgeschickt, die so klingen wie wir. Die haben uns kopiert, das war deren Masche. Wenn all das Geld, das sie in DAF-Kopien steckten, an uns gegangen wäre, dann wäre ich heute ein gemachter Mann. 

Wie war damals dein persönliches Verhältnis zum Geld?

Ich bin durch das Geld kein Spießer und kein Arschloch geworden. Viele Leute, auch aus meiner Familie, die erfuhren, dass von all dem Geld nichts übrig blieb, haben die Hän-de über dem Kopf zusammengeschlagen und gefragt, wie denn so was möglich sei. Meine Antwort darauf ist einfach: Ich bin kein Spießer. Ich habe nie Geld angelegt. Ich habe nie geplant. Ich habe das Geld einfach be-nutzt. Wenn ich dann später keins mehr hatte, war es auch egal. Ich habe mit zwanzig nicht daran gedacht, was ist, wenn ich sechzig bin. Das ist doch völlig absurd, so denkt kein Zwanzigjähriger. Das ist doch völlig ab-gewichst. Das ist kein Drang, kein Sturm, keine Explosion, das ist überhaupt nichts.
Heute würde ich mir vielleicht überlegen, etwas Stabilität in meine Finanzen zu bringen, aber doch damals nicht. 

Ein wesentliches Element bei DAF war Provokation. Gab es irgendein politisches Bewusstsein hinter der Ästhetik?

Ein Bewusstsein gab es gar nicht. Das haben wir auch immer gesagt. Das wollten uns aber viele nicht abnehmen, weil wir so gut waren. Wir standen da halt in unseren schwarzen Lederklamotten und hatten diese durchgeknallten Texte. Keiner wollte glauben, dass wir damit nur spielen. Alle haben uns für Faschisten gehalten. 

Wäre es denn für DAF denkbar gewesen, in einem klar erkennbaren politischen Kontext aufzutreten?

Wir hatten ja dieses legendäre Konzert in Rom. Das war ziemlich politisch. Davon wussten wir aber nichts. Es kamen also massenweise Rechte und Linke zu diesem Konzert, in dieselbe Halle. Und während wir auf der Bühne spielten, haben die sich untereinander mit Flaschen die Köpfe eingeschlagen. 

Wenn ihr vorher Bescheid gewusst hättet, hättet ihr gespielt?

Nein, so was finden wir dann doch nicht gut. Wir waren im politischen Sinn nur Spieler. Die Klamotten, die Haarschnitte, das Spiel mit der Gewalt, das waren alles Stilmittel. Und es hat uns auch richtig Spaß gemacht, dass wir damit die Medien ärgern konnten. Es war interessant zu sehen, welches Echo du erzeugst, wenn du dich einfach nur in provokanter Pose, breitbeinig irgendwo auf eine Bühne stellst. Viele Leute haben uns gehasst, aber das gehörte natürlich dazu.

Ihr saht euch auch nie in der Verantwor-tung, euch den Fans zu erklären?

Nein, wir wollten den Leuten die Brocken hinwerfen und damit deren Fantasie anregen. Die sollten damit machen, was sie wollen. Wir sind keine Band, die auf Zu-stimmung aus ist. Wir wollten, dass sich jeder Gedanken macht. Wir wollten, dass die Leute so einen richtigen Kick bekommen. Eine unserer Aussagen war ja: „Alles ist gut.“ Jede Reaktion war richtig, solange es eine Reaktion gab. 

Die Szene muss doch damals ein Zirkus von Egozentrikern gewesen sein. Wie war es möglich, diese Zeit psychisch unbeschadet zu überstehen?

Ja klar, da wurde teilweise ordentlich rumgezickt. Es waren auch jede Menge Drogen im Spiel, es war eine exzessive Zeit. Wir waren jede Nacht im Club. Das hat ja auch Spaß gemacht. Es sind natürlich auch viele Leute auf der Strecke gebliebe und wegen des Konsums gestorben. Ich persönlich habe alles mitgemacht, außer Heroin. Das war meine Grenze. Ich habe es einmal ausprobiert. Aber auch nicht mit der Nadel. Ich hab mir nur das braune Pulver reingezogen. Ich hatte nur ein Pack und habe damit eine ganze Woche in einem Hotel-zimmer verbracht. Ich habe nichts gegessen. Ich hatte keinen Drang mehr, nach draußen zu gehen. Wenn du eine Woche nur mit diesem Zeug zufrieden bist und dann der Hotelleitung auffällt, dass du seit einer Woche nicht mehr das Zimmer verlassen hast, du das selber aber gar nicht mehr checkst, dann läuft irgendwas falsch. Da habe ich gemerkt, hier sind die Grenzen. Ich habe auch nie wirklich die Kontrolle über die Drogen verloren.

Wann ging das denn bei dir los mit den Rauschmitteln?

Schon ziemlich früh. Zu Dope bin ich schon im Waisenhaus gekommen. Ich war Vollwaise, bin mit sechs Jahren ins Waisen-haus gekommen und habe mit zwölf zum ersten Mal Dope geraucht. Da kam dann eines Tages so ein Typ und meinte, er hätte was zu rauchen. Der hieß Arsch, haha. Also, der hieß wirklich Arsch, kein Spitzname oder so. Er meinte, das müsste man so in eine Zigarette reintun und das wär total gut und man käme richtig gut drauf. Aber das war halt wirklich ein Arsch, ge-nauso wie sein Name. Weißt du, was der uns da verkauft hat? Das war kein Dope, das war ein getrocknetes Stück Schuh-creme. Wir haben das heimlich im Keller geraucht und mir war total schlecht danach. Logischerweise hat Arsch danach noch ordentlich Dresche bekommen. Später haben wir dann aber noch richtiges Zeug auftreiben können und das fanden wir dann natürlich super. Und als ich dann älter war, kamen dann die härteren Drogen. 

Was war dein Motiv?

Eigentlich immer Neugier. Ich wollte alles erleben und ich wollte alles wissen. Mir hat das konventionelle Wissen nicht gereicht. Mir war klar, was die anderen mir sagen, in der Schule und so, das ist alles nur halbes Wissen. Und als ich erfuhr, dass es bewusstseinserweiternde Drogen gibt, da war mir klar, dass ich das ausprobieren muss. 

Du bist aber noch andere Wege zur Wahrheit gegangen, richtig?

Ja, mit 33 bin ich dann spirituell geworden. Das hatte dann nichts mehr mit Drogen zu tun, ganz im Gegenteil. Da ging es dann nur noch um Klarheit. Wenn ich dann später noch mal einen mitgeraucht habe, dann merkte ich, dass mein Körper es nicht mehr will. Es hatte überhaupt keine Wirkung mehr.

Wie kam es dazu?

Ich hatte einen schweren Autounfall. Ich wurde aus einer vereisten Kurve geschleudert. Ich war so mit 100 km/h unterwegs und bin ich wie eine Rakete kerzengerade gegen einen Baum. Wumm! Da war mein erstes Leben beendet. Ich war kurz weggetreten und bin dann im Auto wieder aufgewacht. Ich hab den Baum direkt vor meiner Nase gehabt, das Armaturenbrett war nicht mehr da. Ich war ziemlich schwer verletzt. Ich bin dann irgendwie aus dem Auto rausgerobbt. Als ich dann auf dieser vereisten Landstraße saß, meine Beine nicht mehr spürte und mein rechter Arm komplett hinüber war, da hatte ich dann ein Buddha-Erlebnis. An dem Unfallort hat sich die ganze Welt und das ganze Universum aufgetan. In dem Moment war mir klar, dass alles, was ich schon immer wissen wollte, plötzlich zum Greifen nah ist. Ich habe das dann erforscht, bin nach Asien gegangen, war in Klöstern und hab mich einer spirituellen, buddhistischen Welt angeschlossen. Ich hab da viel ausprobiert, aber irgendwann wurde mir klar, ich gehöre nicht in ein Kloster, sondern ich bin mein eigenes Kloster. 

Wie sieht es aus, kriegst du in Sachen DAF noch viel Feedback?

Ja, es passiert schon häufig, dass mir andere Künstler etwas zuschicken. Ich weiß dann immer gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich finde es gut, wenn sich andere Leute verwirklichen, aber die Arbeiten interessieren mich meistens nicht. Ich will aber nicht arrogant wirken.
Meistens wollen sie dann mit einem zusammenarbeiten. Ich möchte aber dazu einfach keine Stellung beziehen. Mir geht’s gut mit meiner Kunst, aber die Kunst anderer brauche ich nicht. Ich lebe schon sehr in meiner eigenen Welt. Ich finde die Welt der anderen einfach nicht gut. Mit der Welt da draußen habe ich schon lange abgeschlossen. So wie die Leute miteinander umgehen, das gefällt mir nicht.
 

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Tagesspiegel (2.1.2009)

Verlängere Deine Jugend 
Neue deutsche Hassliebe: Zu seinem 30-jährigen Jubiläum spielt das Pop-Duo DAF wieder einmal in Berlin.

Der Song beginnt mit düsteren, treibenden Synthesizerklängen, dann setzt gutturaler Sprechgesang ein: „Schön und jung und stark, du bist schön und jung und stark, nimm dir was du willst.“ „Verschwende deine Jugend“ lautet der Titel dieser Aufforderung zum Hedonismus. Das Stück ist 27 Jahre alt und längst ein Klassiker der deutschen Popmusik. Seine Schöpfer Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl haben ihre Jugend hinter sich. Berühmt wurden sie unter dem Namen DAF, eine Abkürzung für Deutsch-Amerikanische Freundschaft. In den Zeiten der Neuen Deutschen Welle war das eine Phrase, die immer noch gerne von Politikern benutzt wurde. Jetzt gibt es DAF wieder, die Reunion-Tour zum dreißigjährigen Bestehen der Band beginnt im Januar in Berlin und führt anschließend durch ein knappes Dutzend deutscher Städte.

Das Duo gilt als Vorreiter für Stile wie Techno, House und Electronic Body Music. Aufsehen erregten der Sänger Delgado und Multiinstrumentalist Görl in den achtziger Jahren aber vornehmlich durch ihre martialisch wirkenden Kurzhaarschnitte und Lederoutfits sowie die provokanten Texte. In „Der Mussolini“ brachten sie den italienischen „Duce“, Adolf Hitler und Jesus Christus in nur einer Zeile unter, „Der Räuber und der Prinz“ spielte mit homoerotischen Andeutungen. „Ich liebe diesen Prinzen, ich liebe dich mein Räuber,“ hauchte Delgado. Bˆse geben sich die einstigen Avantgardisten bis heute. Ihre Tournee steht unter dem Motto „Der 30-jährige Krieg“. Delgado und Görl liegen in einem ständigen Krieg miteinander, immer wieder haben sie sich zerstritten, meist „wegen ganz simplen Dingen“, wie der in Berlin lebende Robert Görl erzählt. Und sie führen, versichert er, weiterhin einen „Krieg mit den Medien“, von denen sie einst in die rechtsextreme Ecke gestellt worden waren. Dabei war „Der Mussolini“ kein Plädoyer für den Faschismus, sondern bloß ein etwas rabiater Tanzdielenknaller über die Austauschbarkeit von Ideologien.

Hauptsache anders als Punk

Seit den achtziger Jahren haben sich DAF mehrfach aufgelöst. Görl und Delgado verfolgten eigene Projekte, etwa als Techno-DJs, konnten damit aber nie wieder an alte Erfolge anknüpfen. Zuletzt hatte Delgado, der heute in Spanien lebt, im Jahr 2005 verkündet, er wolle nie wieder einen Auftritt unter dem Namen Deutsch-Amerikanische Freundschaft absolvieren. Zwei Jahre zuvor war noch einmal ein Studioalbum mit dem schlichten Titel „15 neue DAF-Lieder“ erschienen, ein Versuch, von der Aufmerksamkeit zu profitieren, die Jürgen Teipel damals mit seinem Doku-Roman „Verschwende deine Jugend“ den alten Kämpfern der Neuen Deutschen Welle verschafft hatte.

Um zu verstehen, worum es bei DAF geht, muss man ins Jahr 1978 zurückblenden. Das Gründungsjahr der Band war auch das Jahr, in dem Johnny Rotten während einer US-Tour die Sex Pistols verließ und damit das Ende der berüchtigsten Punk-Gruppe besiegelte. Zur gleichen Zeit fanden sich etliche Musiker zusammen, die den Punk ohnehin für eine – in den Worten von Musikjournalist Simon Reynolds – „unvollendete Revolution“ hielten. Was sollte an einer Musik wirklich neu sein, die bloß die althergebrachten Rock’n’Roll-Schemata auf doppelte oder dreifache Geschwindigkeit beschleunigte, wie es etwa die Ramones taten?

Auch heute noch mit Leichtigkeit Tabus brechen

Robert Görl erinnert sich: „Es gab 1978 viele Punk-Bands, aber die spielten alle mit Gitarre, mit ganz herkömmlichem Instrumentarium, wie die anderen Bands vorher in den Siebzigern. Wir fanden zwar die Provokation und Energie von Punk gut, aber die Musik fanden wir langweilig, das war nicht unser Ding. Unser Anspruch war höher.“ Görl und Delgado, die DAF zunächst als Quintett starteten und erst 1981 zum Duo schrumpften, setzten auf minimalistisch arrangierte, elektronische Musik und den aggressiven Sprechgesang des gebürtigen Spaniers Delgado. Bei Plattenfirmen kam das zunächst nicht sonderlich gut an. „Mir wurde wortwörtlich gesagt, ob ich denn denke, dass das Musik sei“, berichtet Görl, der eine Ausbildung am Augsburger Leopold-Mozart-Konservatorium und an der Jazz-Musikhochschule in Graz absolviert hatte. Doch die Welt schien nur auf DAF gewartet zu haben, bald zierten sie als erster deutscher Act den Titel des englischen „New Musical Express“, traten im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ auf und gewannen für ihre 1981 veröffentlichte LP „Alles ist gut“ den Deutschen Schallplattenpreis.

Provokation war das Prinzip, das DAF in die Schlagzeilen brachte, von diesem Prinzip rücken sie bis heute nicht ab. Ein Song des letzten Albums heißt „Die Lüge“, er stellt die gesamte gesellschaftliche Realität in Frage: „Alles ist Lüge. Die Wahrheit ist Lüge. Die Lüge ist Freiheit und Gott ist Betrug, wie Filme und Kunst. Alles ist käuflich: die Wahrheit, die Lüge, der Himmel, die Hölle, das Haus und die Möbel.“ „Das Lied ist einigen Medien wieder richtig aufgestoßen. Dass eine Band sagt, dass alles eine Lüge ist, die Religion, die vielen Leuten heilig ist. Wir können auch heute noch Tabus brechen, mit Leichtigkeit“, sagt Robert Görl.

Jubiläumstournee mit "besten und grööten Hits"

Dabei spricht der Stolz aus ihm. Von der musikhistorischen Bedeutung seines Tuns ist er ohnehin ¸berzeugt. Eine „Kultband“ sei DAF, die seit 30 Jahren Fanpost erhalte. „Wir müssen nicht mehr unbedingt etwas beweisen. Wir müssen nicht beweisen, dass wir Musik kreieren können.“ Deswegen sollen auf der Jubiläumstournee auch nur die „besten und größten Hits“ gespielt werden. Doch angesichts des kommerziellen Misserfolgs des letzten Albums liegt die Vermutung nahe, dass die Reunion vor allem finanzielle Gründe hat. Das weist Görl aber vehement zurück.

DAF haben es geschafft, neue Fans für ihre Musik zu gewinnen. Als sie im August ein paar Konzerte gaben, waren im Publikum auffallend viele junge Leute. Menschen, die noch in den Windeln gelegen haben dürften, als DAF ihre Hits hatten. Zu jugendverherrlichenden Texten passt das natürlich. Wie aber fehlt es sich an, Zeilen wie „Du bist schön und jung und stark“ in gesetzterem Alter zu intonieren? Görl muss nicht lange überlegen: „Wir sind jetzt schon älter, klar, es ist aber keine Kluft zu den eigenen Aussagen da. Wir stehen auch heute noch voll dahinter, den Leuten zu sagen: Verschwendet eure Jugend. Das ist eine wichtige Message. Sie sollen keine Spieler werden.“ DAF selbst jedenfalls sind ihrer eigenen Aufforderung nachgekommen. „Ich habe nichts ausgelassen, gar nichts. Aber wir müssen jetzt nicht unbedingt ins Detail gehen“, lacht er. Mit 53 Jahren scheint Robert Görl bei sich angekommen zu sein. Er ist bekennender Buddhist.

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